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Sketch Me If You Can

Corporate Design geht davon aus, dass Schrift einen wesentlichen Teil dazu beiträgt, eine Marke ­visuell beim Publikum zu verankern. Berühmte Brands wie Coca-Cola erkennt man rund um den Erdball anhand von Farbe, Flaschenform und Schriftzug. Neue Handschriften erobern nun die Herzen der Betrachter.

Ralf Turtschi Wer bisher eine gute Corporate-Design-Schrift auf dem Radar hatte, wurde bei Schriften fündig, die sich (unauffällig) gut lesen und möglichst vielseitig verwenden lies­sen. Viele Anbieter überschlagen sich zuweilen in Superlativen, was die Vielseitigkeit von Schriften betrifft. Natürlich muss man solchen Äusserungen skeptisch begegnen, denn eine Schrift kann niemals gleichzeitig (in einem Magazin) gut leserlich und plakativ sein. Zwischen platzsparend, auffällig, charaktervoll und leserlich kommt es immer zu einem Kompromiss. Ganze Schriftfamilien, die das alles abdecken, sind zwar auf dem Markt, aber wenig praktikabel. In der Office-Umgebung sind vier Schriftschnitte Standard (Regular, Italic, Bold, Bold Italic), ein grösseres Sortiment würde wohl viele überfordern.

Corporate Fonts sind Hausschriften, die ein Unternehmen einsetzt, um ihre «Duftspur» weltweit nach gleichen Kriterien abzusetzen, wie dies auch beim Logo, in der Farb- und Bildsprache geschieht. Nachdem wir uns, intellektuell gesehen, weit länger mit Text beschäftigen als mit Bildern, ist es verständlich, dass Brand Manager auch den Einsatz von Schriften sorgfältig inszenieren. Leichter gesagt als getan: In E-Mails oder generell im Internet lässt sich eine bestimmte Schrift nicht durchsetzen, da Apple, Microsoft, Google und andere nicht die gleichen Ansprüche haben wie die Unternehmenskommunikation. Ein Armutszeugnis, dass wir 2016 noch über kein Trennprogramm, über eingeschränkte Sonderzeichen und über fast keine Formatierungsmöglichkeiten verfügen. Das Internet ist ein bisschen wie Teletext für Fortgeschrittene! Corporate Fonts, die in diesem Sinn eingesetzt werden, finden sich heute in der Korrespondenz, in der Werbung und der gesamten Unternehmenskommunikation. Es gibt Beispiele für ein modernes oder ein verkrustetes Verständnis von Fonts. Die in den Neunzigerjahren zur Hochblüte gekommene Frutiger «besetzt» viele Grossunternehmen: Die Post, Swisscom, Raiffeisen oder UBS benützen die Frutiger, die Autobahnbeschriftung ist in der Astra-Frutiger gehalten. Die Frutiger (1976) ist ein angejahrter Klassiker und ein Exportschlager schweizerischen Designs. Sie ist solide und zeitlos, die Attribute modern und zeitgemäss hingegen darf sie nicht mehr beanspruchen. Mit «verkrustet» meine ich Unternehmen, die vom Uralt-Look nicht mehr wegkommen: BMW benützt eine abgeänderte Helvetica. Eine Bankrotterklärung an modernes Design, wie von BWM gepredigt. Versal-Headlines in Helvetica Bold, einfach fürchterlich. Wie elegant und zeitgemäss kommt doch der Gegenspieler Audi mit der AudiType daher.

Credit Suisse hat vor Jahren das Logo mit dem Doppelsegel inkl. Design eingeführt. Die Akzidenz-Grotesk (oder die leicht abgeänderte Form davon) ist so zeitgemäss wie Jugendstil, der um die vorletzte Jahrhundertwende angesagt war. Ganz schlimm.

Migros benützt ebenfalls die miefige Helvetica (1957), Coop macht es mit einer speziell gezeichneten Schrift besser.

Ein keckes Schriftbewusstsein entwickeln oft kleine Brands. Bei den Handschriften waren dies die Food-Marken von Produkten ferner Länder, die mit dem Design «Ich-bin-ein-hochwertig-alternativ-fairtrade-exotisch-teures-Produkt» kommunizieren wollten: Kaffee und Schokolade. Es ging nicht lange, wurde diese Art der Typografie auch auf hiesige Bio-Produkte übertragen: Backwaren, Bier, Spirituosen, Snacks, Konfitüren, Saucen, Fleisch, Säfte. Die Kaffee-und-Mehlsack-Typografie fand irgendwann Zuspruch der grösseren Marken und ist heute bei Migros, Coop und Co. im Regal sichtbar. Ein Trend wird zu 08/15, sobald Zweifel Pommes Chips in einem solchen Look daherkommen …

Der Erdschollen-US-Farmer-Charme passt zu den beschriebenen Produkten, weniger würde ich die Wirkung bei Kosmetika, Reinigungsmitteln, Papeteriewaren, WC-Papier und Papiertüchern, Bekleidung, Möbeln, Medikamenten, IT-Dienstleistungen oder Tierfutter ausprobieren.

Es sei hier nicht gesagt, dass die Handschriften out sind. Im Gegenteil, sie bilden eine reizvolle Ergänzung zu den wirklichen Ladenhütern, die schon seit Beginn des Desktop-Publishing-Zeitalters in den Rillen der Harddisks motten. Einer der grossen Vorteile ist, dass die Handschriften mit den oft originellen Namen (Gomez Strikes Again!) als Gratis-Schriften für den privaten Gebrauch angeboten werden, im kommerziellen Bereich wird ein kleiner Obolus verlangt. Man kann also nach Lust und Laune Fonts herunterladen und erst einmal ausprobieren.

Handschriften

Ich möchte hier drei Kategorien von Handschriften vorstellen. Schriften, die Feder oder Pinsel nachahmen. Solche, die eher vom Kugelschreiber oder Stilo abstammen, die aber dennoch einen handschriftlichen Touch aufweisen. Die dritte Gruppe ahmt die Skizzentechnik nach, man sieht eine skizzierte Druckschrift.

Wie immer sollte man auf den Zeichenumfang achten, der je nach Vorhaben auf mehrere Sprachen ausgerichtet sein sollte. Bei aus nichteuropäischen Ländern stammenden Fonts ist die Vielfalt an diakritischen Zeichen oft etwas mager. Wer hingegen nur ein paar Buchstaben für einen Slogan benötigt, kümmert dies wenig, er gibt sich auch mal mit Versalien zufrieden. Die meisten Handschriften existieren gerade mal in einem einzigen Schriftschnitt – solche, bei denen light, regular oder bold zur Verfügung stehen, sind rar. Dafür gibts dann andere Varie­täten wie schraffierte Innenräume bei konturierten Schriften, die auch weiss oder schwarz sein können.

Bei den «Schnürlischriften» ist auf die natürlichen Übergänge zu achten, zu lange Unter- und Oberlängen können sich störend berühren. Manchmal sind auch Sonderzeichen oder einzelne Schwungbuchstaben zu finden. In der Zeichen- bzw. Glyphentabelle sind diese mittels Doppelklick an der Textstelle einzufügen.

Handschriften sind nur gerade in Fügungen wie Marken, Slogans oder Titeln zu gebrauchen, keinesfalls im Kleingedruckten oder im Lesetext. Damit erfüllen sie einen hohen Identifikationswert für die Marke: Exklusivität, mit Sorgfalt handgemacht, kein Massenprodukt, nachhaltig hergestellt. Eine installierte Corporate-Design-Schrift erhält somit bei Sub-Marken eine starke Konkurrenz, die wohl überlegt sein will.

Mehlsacktypografie

Eine Schrift allein macht keine Marke. Die entsprechende Gestaltung gehört einfach dazu. Wer die gezeigten Verpackungen analysiert, stellt fest, dass es immer wieder die gleichen Elemente sind, die im Zusammenspiel die gewünschte Aussagekraft erzielen. Häufig sind die Schriften halbkreisförmig angelegt, sie sind mit Linien und Punkten durchsetzt oder von Blattwerk umrankt. Die Anleihen dafür stammen aus der Typografie vergangener Zeiten. Wohl in etwa so, wie man sich die Beschriftung von alten Mehl- oder Kaffeesäcken vorstellt. Da wird auch fleissig Kraut und Rüben vermischt, in der normalen Typografie heute eher verpönt. Ein bisschen rau, ganz und gar nicht exakt, wie es eben war, bevor die Schweizer Typografie (Bauhaus, reduziert, geometrisch, einfach, gerade) erfunden wurde. So bemüht man «Retro» in der Typografie wie in anderen Disziplinen auch. Vor allem, weil ja alles schon erfunden ist und die Nerds sich aller möglichen Vorlagen bedienen, die im Internet gratis zu haben sind. Wer nach «kostenlose Bilder» oder «free pics» googelt, erhält entsprechende Treffer und kann Vektorgrafiken frei herunterladen. Lästig ist, wenn «free» eine vollmundige Versprechung bleibt und Kosten anfallen. Reinschauen sollte man einmal bei freepik.com. Da gibts neben Vektorgrafiken zu allen erdenklichen Themen auch Vorlagen für Weihnachtskarten, Geburtstagskarten, Hochzeitskarten und vieles andere mehr.

Die Vektorgrafiken können in Illustrator geöffnet und verändert werden. Allerdings meint man als Anwender, sie seien besonders kompliziert gepfadet, als wolle man eine weitere Verwendung absichtlich erschweren. Nun denn, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul … 

Hier finden Sie eine vom Autor zusammengestellte Selektion von 80 Handschriften zur Inspiration.

Gratishandschriften

Die in diesem Artikel vorgestellten Schriften können alle gratis für den privaten Gebrauch heruntergeladen werden. Lesen Sie bitte online in den jeweiligen Lizenzbestimmungen, welche Gebühren für welchen Einsatz fällig werden. Sie können auch die Schriftnamen im Google-Suchfenster eingeben.

Der Autor

Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, Buchautor und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi und als engagierter Fotograf unterwegs. Der Autor schreibt im Pub­lisher seit Jahren praxisbezogene Beiträge zu Themen rund um Typografie und Gestaltung.

turtschi@agenturtschi.ch